Bergstrukturen

Richtung Piz Murtel da Fier

Ein namenloser Berg. Vielleicht ist das sein Glück. So wird er in Ruhe gelassen. Einen Weg nach oben gibt es keinen, zumindest ist nicht der geringste Hinweis von einem Pfad auf der Karte verzeichnet. Es gibt auch keinen wirklichen Grund ihn zu erklimmen. Die Aussicht wird nicht speziell sein. Man sieht genauso gut ins Tal hinunter, wie von meinem Standort aus. Über die anderen Gipfel rundherum sticht er nicht heraus. Darum wird er wohl Ruhe haben und kann einfach eines sein: ein Berg.

Die typischen Bilder von Bergen zeigen die Erhebung, so dass man den Gipfel gut erkennen kann. Und bei einem bekannten Berg erhofft man sich als Fotograf, dass die Betrachter ihn wiedererkennen. Hier verzichte ich auf das. In dieser Serie hat mich das nicht interessiert, sondern die Strukturen, die den Berg ausmachen, unterhalb des Gipfels oder des Grates. Das Geröll, die Schichtungen, eben die Struktur, also was den Berg eigentlich ausmacht, ihn trägt. Aber auch was ihn mit der Zeit abtragen wird. Und das ist unterschiedlich. Die Bilder hier sind alle um die Fuorcla Pischa im Graubünden aufgenommen worden, auf dem Weg von der Keschhütte zur Es-Cha-Hütte (beide Namen stehen übrigens für denselben Berg). Die Aufnahmestandorte sind nahe beieinander, vielleicht 2-3 km voneinander entfernt, nicht mehr. Und doch so verschieden. Immer wieder anders.

Und an vielen Bergen hat es Geröll. Scheinbar langweilig. Manchmal rutschig beim Begehen, mitunter auch gefährlich. Und es ist klar: im nächsten Jahr, nachdem der Schnee des Winters die Steine wieder verschoben hat, sieht es anders aus. Ähnlich zwar. Und man erkennt immer noch eine Geröllhalde. Aber nicht mehr die gleiche. Der Blick vor mir ist ein flüchtiger, für einen Moment eingefroren. Der Moment dauert ein paar Wochen, vielleicht ein halbes Jahr. Aber nächstes Jahr sieht es hier wieder anders aus.

Zwischendurch ein, zwei grössere Steine, oder eher kleine Felsblöcke. Rutschen Jahr für Jahre weiter nach unten. Ob die dunklen Bänder bleiben? Oder ob die auch rutschen?

Nur wenig weiter und die Steine sind anders. Schroffer. Kantiger. Die Strukturen flimmern beinahe. Wirr und doch einer Ordnung folgend, denn die Sache ist stabil. Für den Moment wenigstens. Der Weg ist gut. Die Steine klirren manchmal, wenn ich meinen Fuss darauf abstelle.

Und wenn wir schon über Ordnung sprechen: Der JPEG-Algorithmus hat so sichtlich seine Mühe damit, diese Bilder klein zu kriegen. Sie sind alle grösser als andere Bilder mit den gleichen Pixelzahlen in meinem Blog. Eine gute Komprimierung bedeutet, dass viel ähnliche Information im Bild enthalten ist und man sie weglassen kann. Chaos kann nicht gut komprimiert werden, weil der Algorithmus nicht weiss, was weggelassen werden kann.

Fels. Kein Geröll. Und doch eine willkürliche Form. Erstarrt. Fest. Sie verändert langsamer, braucht hunderte von Jahren um anders zu werden. Ein Winter reicht meist nicht. Und immer noch schlecht zu komprimieren – als Bild, wohlgemerkt.

Und an einem anderen Ort sieht der Fels plötzlich aus wie ein endlos gewirkter Marmorkuchen. Oder wie wenn mehrere Sorten Knetmasse von Kinderhänden scheinbar wahllos ineinandergeknetet worden sind. Irgendwann einmal war das heisse, dickflüssige Lava, die vor Urzeiten gekneten worden ist. Oder als Fels unter hohem Druck sich zähflüssig bewegt hat. Jetzt wäre ein Geologe praktisch, der einem genauer sagen könnte, was da vor sich gegangen ist.

Und dann Risse in einem anderen Stück Berg. Wahllos und doch mit Struktur. Von oben nach unten. Von links nach rechts. Und manchmal schräg. Und irgendwo blieb ein Stein stecken, von anderer Sorte. Dunkler. Aber jetzt doch Teil des Berges. Wer findet ihn?

Ja, es sind wirklich Berge, die ich hier abgebildet habe. Hier mit Grat. Und mit Spitze. Aber auch der hier ohne Namen. Dafür mit einer Struktur, die mich fasziniert. Die mich in diesem Tal beinahe zu einem Bilderrausch inspirieren liess. Und den ich jetzt, Wochen später, in meiner Erinnerung noch einmal durchlebe. Strukturen, die den Berg ausmachen. Fragil, chaotisch, zeitlos.


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Kommentare

Eine Antwort zu „Bergstrukturen“

  1. […] machte ich ja eine mehrtägige Hüttenwanderung, den sogenannten Kesch-Treck. Davon hatte ich im Oktober berichtet. Der geht über die Grialetschhütte zur Kesch-Hütte und dann zur Es-Cha-Hütte. Er wird […]